Am 12. Oktober erhielt der Informatiker Jaron Lanier in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Für preiswürdig befand die Jury sein kritisches Sachbuch zur digitalen Ökonomie „Wem gehört die Zukunft?“. Hier ein paar Gedanken zur bemerkenswerten Schnittstelle zwischen Weltpolitik, Internet und Buchhandel.
„Um dem Frieden und einer neuen völkerverbindenden Kultur zu dienen“ verlieh der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der damals noch Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verleger- und Buchhändler-Verbände hieß, zum ersten Mal im Jahr 1950 seinen Friedenspreis. Die Ehrung ist heute mit 25.000 Euro dotiert und wurde schon Werken von Max Frisch und Albert Schweitzer zu teil. Im vergangenen Jahr überzeugte die weißrussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch die Jury mit ihrem Manifest der Empathie, im Jahr davor ehrte die Stiftung den chinesischen Autor Liao Yiwu, der mutig gegen die politische Unterdrückung in seinem Heimatland schreibt.
Und nun würdigt man also den exzentrischen Jaron Lanier, der mit Dreadlocks und laotischer Bambusflöte die altehrwürdigen Hallen der Paulskirche zumindest ein bisschen erschütterte. Bloß wegen des Publicity-Effekts fiel die Wahl aber nicht auf den multitalentierten Computer-Pionier. Der New Yorker, der nebenbei auch noch Musiker ist, wird vom Börsenverein geehrt, weil er sich mit „der Forderung, dem schöpferischen Beitrag des Einzelnen im Internet einen nachhaltigen und ökonomischen Wert zu sichern“ dafür einsetzt, „die humanen Werte“ zu bewahren, „die Grundlage eines friedlichen Zusammenlebens, auch in der digitalen Welt, sind“ – so die Begründung der Jury. Jaron Lanier bedankte sich mit einem Ständchen.
Der Preisträger hat höchstpersönlich die Metamorphose vom sorglosen Internetkonstrukteur hin zum kritischen Oppositionellen vollzogen. Fachkundig erklärt er in seinem Buch „Wem gehört die Zukunft?“ – das er selbst als „Science-Fiction in Form eines Sachbuchs“ bezeichnet – die Marktstrukturen der virtuellen Welt. Er stellt darin die unschuldige und dabei fast zynische Kernfrage, ob es nicht auch vorstellbar wäre, „dass man Big Data zum Vorteil der Wirtschaft und der Menschen nutzt?“
Aus seiner Sicht bedrohen genau zwei Schwachstellen die Balance der heutigen Informationsökonomie: Erstens die Logik der Netzwerkstruktur, in der sich unausweichlich immer ungleiche Machtstrukturen durchsetzen, und zweitens unser großer Irrtum, Informationen seien ein freies Gut, das wir sorglos an Großkonzerne hergeben könnten. Sein Vorschlag: „Man muss die Menschen für die Informationen bezahlen, die man über sie sammelt, falls sich diese Informationen als wertvoll erweisen.“
Lanier erörtert in seinem Buch zudem, was sein Vorschlag für unterschiedliche Wirtschaftssektoren bedeuten könnte. Originell entfaltet er seine Theorie von „Sirenenservern“, Gespenstern, Muggeln, Nerds und Pionieren. Zwischen Kapiteln und Unterkapiteln widmet er sich dabei auch in einem seiner „Zwischenspiele“ dem Schicksal der Bücher. Seine Meinung? Überraschend pessimistisch.
Sein Plädoyer für den individuellen, auch langwierigen Geburtsakt eines Buches gepaart mit der Betonung des „emotionalen Wertes“ des Papiers klingt ziemlich konservativ. Vor allem die Folgen der Digitalisierung für den Literaturbetrieb malt er in düsteren Farben: Bücher als Massenware, Quantität statt Qualität wegen der drohenden Flut von Selbstverlegern und „Ghostwriter-Fabriken“, zudem noch ein verändertes „demografisches Bild des Autors“ hin zu „entweder jung und kinderlos, finanziell unabhängig oder Beamter“. Zu allem Überfluss warnt Lanier vor der enormen Abhängigkeit der Bücher (und damit auch der Leser) von den Formaten und Lesegeräten und vor der daraus folgenden „Plutokratie“ der Anbieter. Die wenigen positiven Effekte sieht er im „Experimentierpotential“ bei der Verschmelzung von Büchern mit anderen virtuellen Modellen, dem Aussterben des Tippfehlers und der gesteigerten Vernetzungsmöglichkeit zwischen Autoren und Lesern.
Lanier sorgt sich – und das zu Recht. Vor allem durch die Öffnung der Schleuse namens Verlag und unserer allgemeinen infromationellen For-Free-Mentalität befürchtet er eine Entwertung des Buches und der Autoren. Sein Appell: „Ein Buch ist kein bloßes Objekt, sondern vollgültiger Ausdruck eines Individuums im Fluss der Menschheitsgeschichte.“
Das ist sicher eine Position, die der Börsenverein des Deutschen Buchhandels sofort unterschreiben würde. Aber sollte man zwischen privaten und öffentlichen Interessen, zwischen Urheberrechtsschutz und Open-Access-Utopien, nicht doch etwas differenzierter mit dem Thema eines geldwerten Informationsflusses umgehen? Bis das geklärt ist, wünschen wir jedenfalls love, peace and literature.
Kristina Petzold