Fundstück: „Anja Niedringhaus. Bilderkriegerin“

 

Jedes Foto eine Geschichte. Quelle: Anja Niedringhaus, Wienand Verlag 2019

Falludscha, Irak, 5. Februar 2005: Von der schweren, sandfarbenen Metalldoppeltür blättert die Farbe. Rostige, rissige Metallflecken ziehen sich durch den beigen Farbverlauf. Vor dem rechten Teil der Tür steht verschwindend klein ein Kind, khakifarbene Hose, pinke Sandalen, den dunkelblauen Pullover ziert eine dunkelrote 07, darüber liest sich Beckham. Das Kind presst sich die Hände auf die Ohren. Der Blick wandert nach links, fast an den Rand des Bildes. Dort steht im Vergleich fast überlebensgroß ein Soldat, im Anschnitt fast bis zum Knie. Das Farbspektrum seiner Uniform fügt sich mit den gedeckten Braun-, Grün- und Beigetönen fast in den Hintergrund ein. Einzig die Weste und das Gewehr, das er zum Boden gerichtet in den Händen hält, lenken ästhetisch den Blick auf sich. Der Soldat hat den Kopf von der Kamera abgewendet, auch er schaut das Kind an. Ein Knall steht im Raum. Das Kind steht steif gerahmt vor der der Metalltür. Ausgestellt, verwundbar. Unsicherheit spiegelt sich in den dunklen Augen. Falludscha wurde im Verlauf des Irakkrieges fast vollständig zerstört.

Anja Niedringhaus hat jahrelang in unterschiedlichen Kriegsgebieten fotografiert, auf dem Balkan, im Irak, in Afghanistan. Ihre Fotos zeigen die Brutalität des Krieges in all seiner Rohheit, die Gewalt, die Abgründe, die Tragik. Aber auch immer gibt es Aufnahmen, die den Fokus auf das Leben im Dauer-Ausnahmezustand legen. Kleine, zarte, sogar schöne Szenen, die klarmachen: Es gibt einen Alltag im Krieg. Es gibt Zusammenhalt, Routinen, Humor. Augenblicke vermeintlicher Normalität, für die Zivilbevölkerung wie für die Soldaten. Im Angesicht ständiger Gefahr, manchmal über Tage, Wochen, Monate. Dieses Foto aus Falludscha zeigt Unschuld und Schuld, den rohen Moment einer Begegnung zwischen zwei Menschen in einem Kontext aus Zerstörung und Tod. Anja Niedringhaus verstand es meisterhaft, Kriege und ihre Geschichten in all ihren Facetten zu zeigen, direkt und glasklar. Für ihre Arbeit wurde sie unter anderem mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. Der Band versammelt Aufnahmen von prägenden Reisen der Fotojournalistin, flankiert von Texten, Interviews und Erinnerungen langjähriger Wegbegleiter*innen. Auch wenn die Arbeit ihren Tribut forderte, gab Anja Niedringhaus nicht auf, die Geschichten bewaffneter Konflikte in die Weltöffentlichkeit zu tragen, aufzuzeigen, welche Gesichter Kriege mit sich bringen können und dass sie eins nicht werden dürfen: normal.

Niedringhaus wurde am 4. April 2014, einen Tag vor der Präsidentschaftswahl in Afghanistan, erschossen.

Der Band Anja Niedringhaus. Bilderkriegerin, herausgegeben von Hannelore Firscher, ist der Begleitkatalog zur gleichnamigen Ausstellung im Käthe-Kollwitz-Museum in Köln aus dem Jahr 2019. Das Buch ist für 29,80 Euro auf der Webseite des Wienand Verlags erhältlich.

 

 

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