„Was kommt nach dem E-Book?“ − Diese Frage ist so umfassend, dass es schwierig ist, überhaupt festzulegen, worauf sie abzielt. Dennoch ist es für die Buchbranche eine wichtige Frage, die auf der Electric Book Fair 2016 im ebenso betitelten Workshop von Jakob Jochmann für großen Diskussionsbedarf sorgte. Große und kleine Verleger, Blogger, Autoren und Softwareanbieter sind gleichermaßen mit der Problematik konfrontiert – und haben teils interessante Ideen für neue Geschäftsmodelle.
Um die Frage, was nach dem E-Book kommt zu beantworten, ist zunächst zu klären, was das E-Book eigentlich ist. Kritische Betrachter nannten es in der Diskussion „nichts weiter als die elektronische Form des gedruckten Buchs“ und damit „nicht die Antwort auf die Digitalisierung“. Das E-Book in seiner heutigen Form ist ein geschlossenes Format, das zumeist durch Urheberrecht geschützt und damit von seinen Lesern nicht veränderbar ist. Sein Aufbau ahmt zudem den eines gedruckten Buches nach: Es gibt noch immer ein Cover, einen Klappentext und einen Fließtext in Seitenform.
Welchen Wert hat das E-Book?
Von den vielen neuen Möglichkeiten, die durch die Erfindung des Hypertextes geschaffen wurden, wird oft kein Gebrauch gemacht. Selten sind E-Books als offenes Werk angelegt und arbeiten mit Verlinkungen innerhalb des Textes oder beziehen weitere Medien in die Geschichte ein. Die Idee ist immer noch dieselbe wie beim gedruckten Buch: Es soll eine abgeschlossene Geschichte erzählt und verkauft werden. Was diesen Punkt angeht, so waren sich auf der Electric Book Fair alle Parteien einig: Geschichten wird es immer geben und wir Menschen werden immer lesen. Deshalb ist es auch unwahrscheinlich, dass das E-Book das Papierbuch verdrängt. Die fortschreitende Digitalisierung ist für die meisten Leser nicht Anreiz genug, sich komplett vom gedruckten Buch zu trennen. Vielmehr werden digitale Veröffentlichungen als zusätzliches Angebot genutzt.
Das gedruckte Buch hat Wertmerkmale, die das E-Book nicht bieten kann. Vielen Lesern fehlt zum Beispiel die Möglichkeit des Blätterns. Generell ist die fehlende Haptik ein Punkt, der immer wieder kritisiert wird. Viel wichtiger aber: Das E-Book eignet sich schlecht als Sammlerstück. Ein wichtiges Wertmerkmal von Büchern, das häufig vergessen wird, ist das damit verbundene Prestige. Die Möglichkeit, seine Bücher als Statussymbol in einem Regal zu präsentieren, fällt bei der elektronischen Form weg. Doch ist das wirklich schlimm?
Die Diskussion auf der Electric Book Fair thematisierte unter anderem auch den Wertewandel in der Gesellschaft. Wie man an gut funktionierenden Geschäftsmodellen wie Netflix oder Spotify sieht, ist es vielen Leuten nicht mehr wichtig zu besitzen, sondern vorwiegend zu nutzen. Wie wirkt sich das nun auf das E-Book aus? Auch in diesem Bereich haben sich bereits Abo-Modelle wie Skoobe oder Readfy etabliert. Die Ideen der Diskussionsteilnehmer gingen sogar noch ein paar Schritte weiter: Weg davon, für das fertige Werk zu bezahlen, stattdessen sollen die Autoren fürs Weiterschreiben bezahlt werden. Gefällt jemandem, was ein Autor produziert, so zahlt er nicht mehr für das Endprodukt, sondern unterstützt ihn schon während des Schreibprozesses mit Spenden. Inspiration hierfür waren Let’s Player, die auf Youtube Videos online stellen, in denen sie Computerspiele spielen. Diese Videos sind kostenfrei. Dafür gibt es Plattformen auf denen Fans spenden, damit ihre Idole ihrer Arbeit weiter nachgehen können. Ein Einwand, der hierzu laut wurde, ist ob sich ein solches Modell auch ohne Personenkult um den jeweiligen Autor rentiert. Denn oftmals arbeiten Let’s Player vermehrt mit der Präsenz der eigenen Person. Es geht nicht mehr um das Spiel an sich, sondern um den Spieler. Ein Phänomen, das im Buchbereich eher selten vorkommt.
Neue Geschäftsmodelle rund um das E-Book
Feststeht, dass es viele Ideen für neue Geschäftsmodelle in der Buchbranche gibt, die sich in der Realität noch nicht umsetzen lassen. Oftmals spielen hier nicht etwa technische Hürden oder die Verlage eine Rolle, sondern Autoren und Leser, die sich nicht auf neue Modelle einlassen wollen. So berichtet etwa der Bastei Lübbe Verlag, dass er selbst es sich gut vorstellen könnte, kostenlose E-Books rauszubringen oder Werbefinanzierungsmodelle zu testen. Diese Vorstellungen treffen bei Autoren, die ihr Manuskript als Gesamtkunstwerk betrachten, allerdings meist auf wenig Zuspruch.
Was die Leser angeht, so ist es für Verlage besonders wichtig, ihre Zielgruppen zu analysieren und zu verstehen. Dabei hilft die Digitalisierung, die es ermöglicht, Leserdaten zu sammeln. In diesem Zusammenhang sollte man sich zunächst einmal bewusst machen, dass in den meisten Fällen nicht die Leser selbst, sondern Buchhandlungen oder Verkaufsplattformen wie Amazon die Kunden der Verlage sind. Dadurch hatten diese bisher nur wenig Einsicht ins tatsächliche Leseverhalten der Endnutzer. Mehr als Daten über die totalen Verkaufszahlen eines Buches ließen sich nicht erheben. Digitale Modelle geben nun auch Aufschluss darüber, ob Bücher zu Ende gelesen oder zu welchen Stellen die Leser häufig zurückkehren.
Welche Inhalte werden heutzutage außerhalb von Büchern und E-Books konsumiert?
Neben den Daten, die von bereits vorhandenen Lesern in Erfahrung gebracht werden, ist es für die Weiterentwicklung des E-Books auch wichtig zu wissen, was und wie außerhalb des Buches gelesen wird. Denn so viel steht fest: Wir lesen mehr als je zuvor. Wenn es darum geht, neue Formate und Modelle zu etablieren, stellt sich die Frage, an wen sich diese richten: An die Vielleser, die ohnehin schon zu den eigenen Kunden zählen oder aber an Menschen, die bisher noch nicht im Kontakt mit dem Buch stehen? Richten Verlage, Autoren oder Buchhändler sich an letztere Gruppe, so müssen sie gezielt überlegen, wie sie diese erreichen können.
Wie bringt man Menschen, die viel Zeit mit dem Lesen von WhatsApp-Nachrichten, Facebook-Posts und Buzzfeed-Artikeln verbringen dazu, sich auch für E-Books (oder eben das, was nach dem E-Book kommt) zu interessieren? Einig war man sich auf der Electric Book Fair in Bezug auf diese Frage vor allem darüber, dass Inhalte mobil gut rübergebracht werden müssen, da sie immer häufiger über das Smartphone konsumiert werden. Es gab eine große Bandbreite an Vorschlägen, die sich mit dieser Problematik auseinandersetzen: Vom Akkordeon-Buch, das aus einem 1000-Seiten-Wälzer eine mobil abrufbare Kurzgeschichte macht, bis hin zu Fortsetzungsromanen per WhatsApp und Büchern, die variabel zwischen geschriebenem und Audio-Format wechseln.
Ob das E-Book nun ein Durchgangsformat ist, an das sich in zehn Jahren niemand mehr erinnert, das ist noch nicht bekannt. Doch Eines ist sicher: In der Buchbranche gibt es viele schlaue Köpfe, die interessante neue Wege konzipieren, um mit digitalen Inhalten umzugehen. Wir dürfen also gespannt sein, welche davon sich letztendlich durchsetzen.
Ein Beitrag von Aileen Singhof und Johanna Böhnke