Theater und Gaming auf dem Next Level-Prüfstand

Next Level Conference_Digitur

Next Level Conference 2015

Gaming und Theater sind zwei völlig unterschiedliche Sparten. Unterschiedliche Produkte, für unterschiedliche Zielgruppen. Oder doch nicht? Gibt es nicht vielleicht doch crossmediale Überschneidungen? Am 2. und 3. Dezember wurde das Dortmunder U zum dritten Mal Spielort für die Next Level Conference zum Thema Kultur, Kunst, Bildung und Wirtschaft von Computerspielen.
Mit einem Mix aus Theater- und Musikperformances, Ausstellungen, Panels, Vorträgen und Workshops fanden sich Fachleute und Fans der digitalen Spielekultur zusammen, um sich über aktuell spielerische Potenziale auszutauschen und gemeinsam einen Blick auf mögliche Verknüpfungspunkte in der Virtual Reality zu werfen.
Bereits nach den ersten Schritten im Dortmunder U war es möglich, alte „Retro-Schätzchen“, Spielstationen und klassische Spielautomaten begutachten und spielen zu können. Von der ersten digitalen Spielstation bis zum heutigen interaktiven Theater mit Gamingcharakter – ein langer Weg. Unter der Frage „Können wir die virtuelle Welt nutzen, um auf das Reale zurückzublicken?“ stellte Rimini Protokoll Regisseur Stefan Kaegi verschiedene Theaterarbeiten filmisch vor, bei denen sich die Zuschauer beispielsweise über Kopfhörer geführt selbstständig durch eine Stadt bewegen müssen. Durch die Aufforderung des Handelns via Kopfhörer werden sie selbst ins Zentrum des Geschehens gerückt.

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Total View Beta mit Uwe Schmieder. Bild: CC BY-SA Chantal Otterbein

Dieser Fragestellung schloss sich auch die crossmediale Installation Total View Beta zum panoptischen Sehen vom Schauspiel Dortmund an. Kay Voges und Team entwarfen einen Ort der vollkommenen Überwachung und postulierten einen Kommentar auf die Zweiteilung der Welt. Während die Schauspieler Merle Wasmuth und Uwe Schmieder (Ensemble Schauspiel Dortmund) in einer geschlossenen Box halbnackt Wände bemalten, wurde die analoge um die digitale Welt zwischen Fluxus und Happening erweitert und per Beamer auf eine Wand projiziert.

Video: CC BY-SA Alexander Kerlin

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v.l.: Alexander Kerlin, Angela Richter, Christian Esch, Jagoda Szmytka, Michael Eickhoff. Bild: CC BY-SA Chantal Otterbein

Alexander Kerlin, Dramaturg am Schauspiel Dortmund und Moderator der Diskussionsrunde Games & Performances: Neue Spielräume – Perspektiven für das Theater: „Gamer und Theaterleute halte ich von den Communities her für relativ klar trennbar. Das liegt vor allem daran, dass Games kommerziell nutzbar sind, das Theater aber nicht, da es sich sonst selbst verraten würde.“ Angela Richter, Regisseurin aus Köln, führte für ihr Stück Supernerds Interviews mit Whistleblowern und Aktivisten, darunter unter anderem Julian Assange und Edward Snowden. „Das Thema Massenüberwachung ist so abstrakt, dass es einfach nicht greifbar ist“, erklärt Richter und hat sich bei der Entwicklung dieses Stücks neben der Einbeziehung von TV und Web daher für ein Game entschieden, an dem die Zuschauer vor der Vorstellung teilnehmen. Dieses wurde extra dafür entwickelt und ermöglichte eine Theatervorstellung, bei der Wahrheit und Fiktion verschwommen. Michael Eickhoff, Chefdramaturg des Schauspiel Dortmund, stellte das Projekt Crashtest Nordstadt – mach mein Spiel von 2012 vor, eine Mischung aus Börsenspiel und interaktivem Stadtteilparcours in Dortmund. Das Theaterprojekt verfügte über eine klare Gamestruktur. „Die Nordstadt ist sehr divers strukturiert, der Stadtteil funktioniert nach anderen Regeln und wer erfolgreich mitspielen wollte, war gezwungen, sich diesen Regeln anzupassen“, erklärt Eickhoff.
Das traditionelle Guckkasten-Prinzip, das Schiller einst als so unerlässlich für das Einfühlungsvermögen und ein gelungenes Theatererlebnis voranstellte, ist nicht mehr zeitgemäß. Grenzerfahrungen für Zuschauer und scheinbare Notsituationen in der Realität haben als Spielstruktur längst Einzug in Theatervorstellungen gefunden. Was kann also das Theater exklusiv vom Gaming lernen? Bei beiden Disziplinen ist ein Arbeiten in Echtzeit möglich und das Publikum wird wie beim Game immer mehr zum aktiven Teilnehmer. Das große Zauberwort für die Vereinbarkeit der verschiedenen Disziplinen lautet also: Crossmedialität und Partizipation. Teilnehmen an dem, was passiert: Nicht nur stumm zuschauen, sondern selber ein Teil der Geschichte werden.
Chantal Otterbein

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