Podiumsdiskussion: „Die Buchbeschleuniger — Literatur zwischen Feuilleton und Blogosphäre“

Buchbeschleuniger

Podiumsdiskussion „Die Buchbeschleuniger“ auf der Leipziger Buchmesse, Foto: CC BY-SA 4.0 Vanessa Hellwig und Aileen Singhof

Befindet sich das klassische Feuilleton mit zunehmender Digitalisierung in der Krise? Über die Veränderungen und Tendenzen der Literaturkritik und das aktuelle Verhältnis zwischen dem Feuilleton in Printmedien und der Blogosphäre diskutierten zum Start der Leipziger Buchmesse am 17. März 2016 fünf Vertreter der Branche unter der Leitung von Andreas Platthaus, Feuilleton-Chef bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Unter den Gästen waren Thierry Chervel, Mitbegründer des Perlentauchers; Sieglinde Geisel, Gründerin von „tell — Magazin für Literatur und Zeitgenossenschaft“; Literaturchef der Zeit Ijoma Mangold, Doris Plöschberger, Programmleiterin für deutschsprachige Literatur beim Suhrkamp Verlag sowie Vendela Vida, amerikanische Schriftstellerin und Herausgeberin der Kulturzeitschrift  „The Believer“.

Eingeleitet wurde die Podiumsdiskussion „Die Buchbeschleuniger — Literatur zwischen Feuilleton und Blogosphäre“ mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen der Zeitung als klassischem Medium und dem Blog:

Literaturkritik auf dem Scheideweg? Klassische Printmedien versus Online-Blogs

Vida Podiumsdiskussion

Vendela Vida, Foto: CC BY-SA 4.0 Vanessa Hellwig und Aileen Singhof

Vendela Vida sieht in der Haptik der Printmedien entscheidende Vorteile im Vergleich zum Digitalen und hebt die spezifischen Stärken klassischer Printmagazine hervor. Denn im Gegensatz zum Blog habe man eine Zeitschrift real in der Hand. Sie schätzt besonders das schöne Design einer Zeitschrift, welches ein Bücherregal ziert und stets präsent ist. Wichtig ist ihr das physische Buch besonders im Zusammenhang mit Kindern, denn nur bei einem Printmedium sehe sie, welches Buch das Kind gerade lese.

Chervel Podiumsdiskussion

Thierry Chervel, Foto: CC BY-SA 4.0 Vanessa Hellwig und Aileen Singhof

Thierry Chervel sieht vor allem das Problem der Zersplittung der literarischen Öffentlichkeit. Schließlich gebe es zahlreiche literarisch öffentliche Leucht-türme, aber auch immer mehr Medienblogs. Aufgrund dieser Entwicklungen betreibt Perlentaucher seit letztem Jahr „lit21 — Das literarische Metablog„, das einen Überblick über die deutsche Blogosphäre bietet. Dieses beinhaltet einen RSS-Reader, der die relevanten Informationen und Artikel des Netzes alle sammelt und für den Leser übersichtlich bündelt. Dabei wird der Feed aus zahlreichen literarisch bedeutsamen Quellen — wie dem Literaturteil der SZ, den Seiten öffentlich-rechtlicher Radiosender oder verschiedenen Blogs — verwendet.

Mangold Podiumsdiskussion

Ijoma Mangold, Foto: CC BY-SA 4.0 Vanessa Hellwig und Aileen Singhof

Im Rahmen der Podiumsdiskussion wurde deutlich: Um den Unterschied zwischen dem klassischen Feuilleton und der Literaturkritik der Blogosphäre auszumachen, müsste zunächst definiert werden, was spezifisch „blogosphärisch“ ist. Das könne Ijoma Mangold jedoch nicht, denn er lese nicht bewusst auf Blogs, sondern stoße meist über andere Seiten oder über Posts im Social Media auf Blogeinträge. Doch die Blogosphäre habe bereits eine historische Patina, denn es gebe diese mittlerweile so lange, dass sie eine eigene Geschichte habe.

 

Geisel Podiumsdiskussion

Sieglinde Geisel, Foto: CC BY-SA 4.0 Vanessa Hellwig und Aileen Singhof

Den Unterschied zwischen dem klassischen Feuilleton und einem Blog sieht Sieglinde Geisel vor allem darin, dass im Netz ein Raum geschaffen werden kann, in dem die klare Trennung zwischen professionellen Akteuren der Branche und Laien teilweise aufgehoben werden kann. Die Gründerin von „tell“ sieht ihr Online-Magazin als Ersatz für klassische Printmedien im Netz und spricht von einem „digitalen Salon“, in dem jeder selbst mitschreiben könne.

Plöschberger Podiumsdiskussion

Doris Plöschberger, Foto: CC BY-SA 4.0 Vanessa Hellwig und Aileen Singhof

Doris Plöschberger, die das Onlinemagazin Logbuch mit aufgebaut hat, sieht diesen literarischen Blog des Suhrkamp Verlags als ein Instrument, welches die Öffentlichkeit über die Ereignisse des Verlages informiert. Ziel sei es, zu zeigen, was um eine Neuerscheinung herum passiert, interessante Hintergrundinformationen zu geben und dabei die Autoren im Gespräch zu halten.

Anschließend wurde das Gespräch auf das Thema Finanzen gelenkt:

Auf welche Besonderheiten stößt die Finanzierung der Literaturkritik im digitalen Zeitalter?

Der „Believer“ finanziert sich durch Spenden und Förderungen und eine neue Ausgabe des Magazins erscheint erst, wenn genug Geld dafür gesammelt wurde. Die Blogosphäre habe dabei laut Vendela Vida keinen Einfluss auf die Finanzierung der amerikanischen Kulturzeitschrift.

Einen ähnlichen Plan hat Sieglinde Geisel vom Online-Magazin „tell“. In Zukunft möchte sie dieses gern über seine Leser finanzieren. Auf eine Paywall möchte Geisel dabei verzichten, schließt dies aber nicht aus, denn die Finanzierung sei noch immer ein „Gordischer Knoten“. „Wenn man für Inhalte aus dem Internet bezahlen muss, macht man den Vorteil des Internets zunichte“, so Geisel, die den uneingeschränkten, kostenlosen Zugriff auf Wissen schätzt. Deswegen würde sie gern dem Beispiel des „Believers“ folgen und sich etwa über Crowdfunding finanzieren. Wer viel zahlt, bekommt dementsprechend auch eine Gegenleistung: „Vielleicht können wir unseren Pianisten für ein Hauskonzert vorbeischicken oder wir organisieren eine Weinprobe mit unserem Sommelier“, sagte Geisel.

Nationalbibliothek

Bild: CC BY-SA 4.0 Vanessa Hellwig

Der Frage, ob unbezahlte Literaturkritik schlechter sei als die im Feuilleton, musste sich Ijoma Mangold während der Podiumsdiskussion stellen. Dies verneinte er klar und betonte, dass beide nicht gegeneinander ausgespielt werden könnten. Wer auf der Suche nach Spontanität sei, schaue sich Rezensionen im Internet an; was das klassische Feuilleton dafür wegen seiner Institutionalisierung bieten könne, sei Verlässlichkeit. Dem Medienwandel schreibt Mangold zu, dass am Ende sowieso alle über das gleiche Thema berichten. „Dem kann niemand gegensteuern“, so der Verantwortliche des Literaturteils des Feuilletons, „denn wer nicht mitzieht, ist im Abseits der Aufmerksamkeit. Alle konzentrieren sich auf die großen Bücher“. Früher sei dies anders gewesen. Vor allem Literaturzeitschriften boten genügend Platz, eine breite Palette von Büchern vorzustellen. Doch die Auswahl dafür sei mittlerweile sehr gering und auch die Anzahl der Seiten im Feuilleton habe sich seit dem Jahr 2000 halbiert. Heute seien solcherart Rezensionen auf andere Plattformen, wie zum Beispiel Internetforen oder Blogs, abgewandert. „Deswegen brauchen wir die Erweiterung ins Digitale, um solche Dinge für den kleinen Kreis von Interessierten zugänglich und diskutierbar zu machen“, resümierte Mangold. Somit scheinen sich bezahlte und professionelle Rezensionen gegenüber den unbezahlten Hobbylesern gegenseitig zu ergänzen.

Für Thierry Chervel haben alle Medien, die nicht öffentlich-rechtlich finanziert werden, Probleme mit dem Geld. „Das Problem der Informationsökonomie ist ungelöst. Es gibt kein Modell für die Finanzierung von Literaturkritik“, findet der Gründer von perlentaucher.de. Die Lösung für das Problem sieht er in einer Umstrukturierung der Medienlandschaft — wie die funktionieren soll, erklärte Chervel dabei leider nicht. Sein Online-Kulturmagazin perlentaucher.de finanziert sich über Werbung, denn Fundraising hält Chervel in Deutschland für noch nicht etabliert genug, erklärte er auf der Podiumsdiskussion.

Doch auf genau die Art und Weise verdient das Kultumagazin von Vendela Vida Geld und zwar genug, um auch mal Blogger für qualitativ hochwertige Blogbeiträge zu bezahlen und diese dann im Magazin zu veröffentlichen. Das gute an Blogs sei nach Vendela Vida, dass sie demokratisch seien — jeder kann so im Internet seine Meinung kundtun. Dass es dabei auch Qualitätsunterschiede gibt, müsse dabei allerdings hingenommen werden.

Quantität versus Qualität?

Laut Doris Plöschberger wollen die Leser immer mehr Besprechungen lesen. Das Motto „je mehr, desto besser“ findet bei ihr daher großen Anklang. So arbeitet Suhrkamp in Kooperation mit etwa 500 Bloggern, die pro Woche 30-40 Bücher anfordern und diese anschließend besprechen. Dabei sei es wichtig, einen Überblick über die Szene zu behalten, weswegen ein Mitarbeiter eingestellt wurde, der sich ausschließlich um  Bloggeranfragen kümmere.

„Die wichtigsten Sachen im Leben kann man nicht suchen, von denen wird man gefunden“, findet hingegen Sieglinde Geisel. Die meisten Blogger wollen vor einem Engagement bei ihr genau wissen, was bei Tell gemacht wird und was nicht. Dazu hat Geisel einen Leitfaden angefertigt, wie bei ihrem Onlinemagazin gearbeitet werden soll: es solle nicht darum gehen, ob ein Leser von einem Text erschüttert wurde, sondern um das, was ihn erschüttert hat.

Befindet sich die Literaturkritik im klassischen Feuilleton denn nun in der Krise?

Es sieht also ganz so aus, als ob die Koexistenz von Feuilleton und Blogosphäre eher Vorteile mit sich bringt, da sich die beiden Medien ergänzen, statt sich vollkommen zu verdrängen. Je nach Bedarf und Vorlieben, kann sich der Leser für institutionalisierte und professionelle Printausgaben oder die vielfältige und oft spontanere Welt der Blogs entscheiden. Während der Leser eines gedruckten Mediums etwas in der Hand hat und seine Büchersammlung präsentieren kann, hat der Online-Nutzer die Möglichkeit, sich am Diskurs zu beteiligen. Ob Bücherregal oder Mediathek — jeder muss für sich selbst entscheiden, wo die Vorteile für ihn überwiegen.

Ein Beitrag von Vanessa Hellwig und Aileen Singhof.

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